Unser Eufonist und Veteran David Lochmatter spielte in der vergangenen Zeit mit verschiedenen farbigen und unförmigen Mundstücken. Neulich mussten sich die Blechbläser unserer Musik nun für dieses Mysterium die Bärte rasieren. Klingt schräg – am besten erklärt es David selbst.
David, was hat es mit deinen verformten Mundstücken auf sich?
Mundstücke für Blechblasinstrumente werden seit Jahrhunderten als Rotationskörper, vorwiegend aus Messing, gedreht. Während mit der Zeit vielfältige Geometrien und Designs entstanden sind, blieb die Randkontur stets flach. Dieser flache Rand ist jedoch einzig der Produktion durch Drehen geschuldet und passt bei Weitem nicht auf jeden Mund. So weisen die Frontzahnreihen meist eine natürliche Krümmung auf und auch ein mehr oder minder ausgeprägter Überbiss ist häufig. Wir – zu unserem Team gehören neben mir meine Frau Manuela und mein Bruder Thomas – passen nun das Mundstück an den Mund des Musikers an.
Wie hat das angefangen? Wie bist du auf die Idee gekommen, die Mundstücke anzupassen?
Während meines Musikstudiums an der Musikhochschule Luzern stellte ich fest dass meine Zahnstellung mich in meinen musikalischen Möglichkeiten begrenzte. Nach meinem Studium experimentierte ich mit rudimentären Werkzeugen wie Feilen und Handschleifmaschinen an meinen Mundstücken nach dem Trial-and-Error-Verfahren. Ich erkannte, dass hier viel Potenzial lag. Die Methode genügte jedoch nicht. Nach und nach wuchs der Wunsch, die Mundform genauer abzumessen. Nach einigen gescheiterten Versuchen mit Gipsabdrücken lieferte ein 3D-Scan verwertbare Daten. Die ersten Scans mussten noch in Zürich oder Visp mit teuren 3D-Scannern getätigt werden. Inzwischen lässt sich das mit Mobiltelefonen und preiswerten Apps in Eigenregie machen. Die Verarbeitung der Scandaten übernahm mein Bruder Thomas. Er schrieb eine Software, welche Mundstücke zeichnen kann, um mithilfe der Scandaten eine angepasste Mundstückrandform zu berechnen.
Ihr habt schon früh ein Patent angemeldet. Was waren damals eure Hintergedanken?
Nach monatelangem Tüfteln und 79 gedruckten Mundstücken mit verschiedenen Parametern fand ich meine für mich optimale Mundstückrandform. Diese eröffnete mir neue, vorher unerreichbar scheinende musikalische Möglichkeiten. Von diesen Erkenntnissen sollen nun auch andere Musiker profitieren können. Deshalb kam schon vor einigen Jahren der Wunsch auf, dieses Produkt zu vermarkten. Ende 2021 konnten wir für unsere Erfindung das Patent entgegennehmen.
Was sind die Vorteile eines angepassten Mundstücks?
Passt das Mundstück nicht gut auf den Mund, kann dies zu zwei Problemen führen: Luft entweicht aus den Mundwinkeln oder es kann Druckstellen auf der Mundpartie geben. Mit unseren Mundstücken kann der Musiker Klangqualität, Tonumfang, Kontrolle, Flexibilität, Dynamik – vor allem im leisen Bereich – und Ausdauer verbessern. Natürlich muss aber auch mit unseren Mundstücken noch geübt werden.
Was sind deine Erfahrungen bis jetzt? Wie viele Blechbläser nutzen bereits ein angepasstes Mundstück?
Ich selbst spiele bereits seit einigen Jahren auf einem Prototyp. Diesen konnte ich in den letzten Jahren weiterentwickeln. Durch das angepasste Mundstück konnte ich meine hohe Lage um einige Töne erweitern und in der tiefen Lage wurde der Klang voller. Die grössten Vorteile spüre ich jedoch in der Kontrolle und Ausdauer. Nur schade, habe ich nicht mehr gleich viel Zeit zum Üben wie während meines Musikstudiums. Unsere Kunststoffprototypen konnten wir bisher vorwiegend mit einigen ausgewählten Schülern und Kollegen testen. Diese Mundstücke konnten von der Oberflächengüte und der Klangqualität jedoch nicht mit herkömmlichen Messingmundstücken mithalten. Interessanterweise konnten viele Probanden durch unsere angepasste Randform kontrollierter, leiser, höher und tiefer spielen. Auch war der Klang in der Höhe offener. Meinem Schwager Pascal Vogel liessen wir eines aus Messing giessen. Er ist begeistert und will nicht mehr zurück. Der bekannte portugiesische Eufoniumsolist Mauro Martins testete einen unserer ersten Plastikprototypen und schrieb:
«Das MyPiece-Mundstück kann bei der Flexibilität und dem Tonumfang wirklich helfen. Das Spielgefühl ist etwas anders, aber sehr positiv.»
Wie läuft die Herstellung eines angepassten Mundstücks ab?
Wir planen zwei Produktlinien. Beide können aus Messing und Kunstharz hergestellt werden. Bei MyPiece basic bieten wir Mundstücke mit Standardkrümmungen an, welche für einen Grossteil der Kunden einen möglichst grossen Nutzen bringen sollen. Hierfür braucht es keinen 3D-Scan. Der 3D-Scan wird allerdings für das MyPiece professional benötigt. Das MyPiece professional ist optimal auf den Kunden angepasst, sodass dieser sein volles Potential ausschöpfen kann. Nach dem 3D-Scan drucken wir dem Kunden drei individuell angepasste Mundstücke aus biokompatiblem Kunstharz mit verschiedenen Glättungsparametern. Der Kunde kann diese in der Folge testen und anschliessend bei uns sein persönliches MyPiece-professional-Mundstück aus Messing anfertigen lassen. Während der 3D-Druck von Einzelanfertigungen wie unseren Mundstücken technisch sehr einfach ist, ist es eine grosse Herausforderung, Einzelanfertigungen zu einem akzeptablen Preis aus Messing zu drehen und fräsen zu lassen. An der technischen Lösung für dieses Problem grübelten wir während der letzten vier Jahre, der Durchbruch gelang uns dann endlich diesen Frühling.
3D-Scan und Druck, verschiedene Materialien etc. Das hört sich technisch herausfordernd an. Wie hast du dir das alles beigebracht?
Im Bereich des 3D-Modellierens und 3D-Drucks gibt es im Internet zahlreiche Tipps und Lernvideos. Dann geht vieles natürlich über Ausprobieren und Nachlesen. Beim Programmieren muss ich jedoch kapitulieren. Da kommt mein Bruder Thomas ins Spiel.
Was sind eure Ziele für MyPiece? Wo seht ihr MyPiece in 10 Jahren?
Unser Ziel ist es, im Herbst 2023 unsere Entwicklungsphase abzuschliessen un in einer nächsten Phase schweizweit und dann nach und nach weltweit liefern zu können. Da unser Produkt sehr innovativ ist, ist es sehr schwierig abzuschätzen, wie gross unser Markt sein wird und wo wir in 10 Jahren stehen. Wir lassen uns überraschen.
Ihr habt eine Studie gestartet. Was sind eure Ziele für diese Studie?
Um unsere Idee weiterzuentwickeln, haben wir eine Scan- und Testkampagne lanciert. Daran nehmen neben der MG Glishorn fünf weitere Vereine aus dem Wallis teil. Ausserdem konnten wir eine Eufoniumklasse der Musikhochschule Luzern als Forschungspartner gewinnen. Wir wollen besser verstehen, inwieweit die Zahnstellung mit den musikalischen Möglichkeiten bei Blechbläsern zusammenhängt und ob ein angepasstes Mundstück die musikalischen Möglichkeiten erweitert, und wenn ja, bei welchen Instrumenten und mit welchen Parametern. Bei der Erstellung der angepassten Mundstücke mithilfe der Scans gibt es für uns viele verschiedene Parameter zu bestimmen. Mit den Daten aus der Scan- und Testkampagne wollen wir die besten Parameter für unsere Kunden herausfinden. Gleichzeitig sollen uns die Daten helfen, die besten MyPiece-basic-Mundstücke zu erstellen. Ausserdem möchten wir so den Markt analysieren.
Mehr zu MyPiece könnt ihr auf www.mypiece.me lesen.